BAFA oder Steuerbonus???

Komplettsanierung der Gebäudehülle – ein Praxisfall aus der Lindenstraße


1 Die Ausgangslage

Auf den ersten Blick wirkt das Doppelhaus 17 / 17 a in der Markdorfer Lindenstraße gemütlich: viel Grün, ein Kirschbaum im Vorgarten, die Kinderroller lehnen an der Fassade. Doch das Gebäude stammt von 1995 und hat energetisch seine besten Tage hinter sich. Jede Haushälfte verliert durch Dach, Außenwände und die alten Holzfenster so viel Wärme, dass pro Heizsaison umgerechnet mehr als 4 000 € in den Himmel entweichen.

Beide Eigentümer wollen deshalb exakt dasselbe Paket umsetzen:
18 cm neues WDVS auf die Außenwände, 28 cm Dämmaufbau aufs Steildach, dazu dreifach­verglaste Holz-Alu-Fenster. Das kostet – Baugerüst, Entsorgung, Baubegleitung inklusive – 95 000 € brutto je Seite.

Damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon, denn wirtschaftlich leben die Nachbarn in zwei verschiedenen Welten:

Adresse Bewohner zu versteuerndes Einkommen Individueller Steuersatz
Nr. 17 – Familie Richter 2 Erw., 1 Kind 40 000 € ≈ 5 %
Nr. 17 a – Familie Hartmann 2 Erw., 2 Kinder 100 000 € ≈ 26 %

2 Zwei Förderpfade, ein gemeinsames Fundament

Technisch müssen beide Bauvorhaben dieselben Mindest-U-Werte der Energetischen-Sanierungs­maßnahmen-Verordnung erfüllen. Rechtlich geben sich die beiden großen Förderinstrumente so:

  • BEG-Einzelmaßnahmen des BAFA: 15 % Zuschuss auf förderfähige Kosten, mit einem individuellen Sanierungs­fahrplan (iSFP) sogar 20 %. Die Deckelung springt dann zugleich von 30 000 € auf 60 000 € je Wohneinheit. (bafa.de)

  • Steuerbonus § 35c EStG: 20 % Steuerermäßigung, verteilt auf drei Jahre (7 % + 7 % + 6 %), maximal 40 000 €. Vorgeschrieben ist lediglich eine amtliche Muster­bescheinigung über die fachgerechte Ausführung. (bundesfinanzministerium.de)

Beides darf nicht für dieselbe Rechnung kombiniert werden. Entscheidend wird also, wer wie viel Geld in welchem Zeitraum zurückerhält.


3 Das neue Vertragsinstrument

Bis 2023 galt der eiserne Satz „kein Auftrag vor Antrag“. Seit den letzten BEG-Reformen erlaubt die Richtlinie aber einen Liefer- oder Leistungsvertrag mit aufschiebender oder auflösender Bedingung der Förderzusage. Vereinfacht steht dort:

„Dieser Vertrag tritt erst in Kraft, wenn der BAFA-Zuwendungs­bescheid (oder ein gleichwertiger Förderbescheid) vorliegt.“

Damit dürfen die Parteien schon vor Antragstellung unterschreiben – da beide Seiten wissen, dass der Vertrag wieder platzt, falls das BAFA Nein sagt. 


4 Familie Richter entscheidet sich für den Zuschuss

4.1 Warum gerade BEG + iSFP?

Ein erster Kassensturz zeigt: Wenn Richters den Steuerbonus nähmen, stünden ihnen zwar 19 000 € zu – aber sie dürften pro Jahr nur so viel abziehen, wie tatsächlich an Steuer anfällt. Ihre letzte Veranlagung ergab knapp 2 200 €. Das Finanzamt würde also im ersten Jahr 2 200 € auszahlen, 2026 wieder 2 200 €, 2027 nochmals 2 200 €. Der Rest – über 12 000 € – bliebe auf ewig liegen, weil § 35c keinen Vortrag erlaubt.

Beim BAFA-Zuschuss passiert das nicht: 20 % von 60 000 € sind 12 000 €. Hinzu kommen 650 € iSFP-Förderung – beides fließt unabhängig von der Steuerlast. Für Richters sind das netto 12 650 € statt steuerlich nutzbarer 6 600 €. Entscheidung gefallen.

4.2 Der Beratungs- und Antragsweg

Der Energieeffizienz-Experte vermisst das Haus, erstellt Thermografie, rechnet Transmissions­­verluste durch. Nach vier Wochen liegt der iSFP vor und wird beim BAFA eingereicht. Honorarkosten: 1 500 €. Nach rund drei Wochen kommt bereits der Zuschuss­bescheid, kurz darauf 650 € auf dem Konto.

Im BEG-Portal wird nun der eigentliche Förderantrag angelegt. Für die 95 000 € Bauvolumen erkennt das System automatisch 60 000 € als förderfähig; der Rest ist Eigen­leistung. Mit dem Antrag im System gilt die aufschiebende Vertragsklausel als erfüllt: Die Dachdecker dürfen loslegen.

4.3 Bau, Nachweis, Auszahlung

Drei Monate Laternenfest: Gerüst, Schuttcontainer, ein Kran, der neue Pfannen palettenweise aufs Dach hievt. Der Experte fotografiert jede Dämmschicht, notiert Herstellernachweise und lädt sie fortlaufend in seinen Projektraum. Das erspart spätere Nachforderungen des BAFA.

Nach der Schlussrechnung (95 000 €) überweist Frau Richter sofort. Gott sei Dank hat sie vor wenigen Wochen ca. 100.000 € geerbt. Exakt sieben Wochen später meldet die Banking-App zwei Geldeingänge: 12 000 € BAFA-Zuschuss und die längst vorgestreckten 650 € für den iSFP.

4.4 Richters endgültige Bilanz

Bruttoausgaben: 96 500 €
öffentliche Zuschüsse: 12 650 €
Eigenaufwand: 83 850 €

Mit dem erstellten iFSP (individuellen Sanierungsfahrplan) liegt jetzt ein 15 Jahre gültiges Dokument in der Schublade – jede weitere Maßnahme aus dem Plan bringt automatisch wieder 5 % Zuschuss.


5 Familie Hartmann setzt auf den Steuerbonus

5.1 Motivation und Kalkulation

Hartmanns zahlen jährlich rund 26 000 € Einkommen- und Kirchensteuer. Ihre Steuerlast ist also hoch genug, um die komplette § 35c-Förderung aufzunehmen. Warum sollten sie sich mit einem gedeckelten BAFA-Zuschuss begnügen, wenn der Fiskus 20 % auf die gesamten 95 000 € erlaubt?

5.2 Schneller Bauvertrag, schlanke Prozesse

Ohne Energieberater und ohne BAFA-Portal kann die Familie den Werkvertrag sofort rechtskräftig zeichnen. Einzige Zusatzzeile: Die ESanMV-U-Werte sind einzuhalten. Der Handwerks­meister nickt – macht er ohnehin.

Drei Monate später ist die Baustelle fertig, 95 000 € fließen per Onlinebanking auf das Konto des Handwerkers

Der Dachdecker druckt die neue Musterbescheinigung energetischer Maßnahmen aus, trägt U-Werte und Materialdicken ein, stempelt, unterschreibt. Das vierseitige Formular legen Hartmanns gut ab – im März 2026 brauchen sie es für die elektronische Steuererklärung.

5.3 Der steuerliche Rückfluss

* April 2026*: erster Steuerbescheid, Rückerstattung 6 650 €.
* April 2027*: zweiter Bescheid, wieder 6 650 €.
* April 2028*: dritter Bescheid, 5 700 €.

5.4 Hartmanns endgültige Bilanz

Bruttoausgaben: 95 000 €
Steuerförderung: 19 000 €
Eigenaufwand: 76 000 €
Der Bonus kam in drei Etappen, aber vollständig. Die langsamere Liquiditäts­entlastung stört dank Rücklagen niemanden.


6 Der Vergleich in Klartext

Merkmal Richter (Zuschuss) Hartmann (Steuerbonus)
tatsächliche Förderung 12 650 € 19 000 €
     
endgültiger Eigenaufwand 83 850 € 76 000 €
bürokratischer Aufwand hoher Papierstrom, Portal kaum Formulare
strategischer Zusatznutzen iSFP-Roadmap für 15 Jahre keiner

Für Richters zählt die rasche Kassenentlastung, für Hartmanns die maximale End­ersparnis. Beides ist legitim – solange die eigenen Zahlen geprüft sind.


7 Häufige Stolpersteine in solchen Projekten

Viele Bauherren scheitern nicht an Dämmstoffen, sondern an Formalien:

  • Der Werkvertrag enthält keine aufschiebende Klausel, wird aber unterschrieben → Zuschuss verfällt.

  • Abschlags­rechnungen werden bar gezahlt → BAFA und Finanzamt streichen die Förderung.

  • Beim Steuerbonus wird ein veraltetes BMF-Formular genutzt → Finanzamt ignoriert § 35c und veranlagt ohne Ermäßigung.

  • Auf der Baustelle ändert der Polier spontan die Dämmstärke → die End-U-Werte passen nicht mehr, der Experte kann sie nicht bestätigen. Alle diese Fehler kosten richtig Geld.


8 Was bleibt unterm Strich?

Der gleiche Handgriff – 95 000 € Sanierung – führt zu zwei sehr unterschiedlichen Geldgeschichten. Das BAFA-Zuschussmodell ist das Liquiditätswunder: Geld raus, aber ein Fünftel schnell wieder rein. Ideal für Haushalte mit niedrigen Steuerbeträgen und engen Rücklagen. Der Steuerbonus ist das Langstrecken-Schnäppchen: bürokratisch schlank, dafür ein langer Atem – und absolut sinnlos, wenn die eigene Steuerzahllast zu gering ist.

Am Ende haben beide Familien ihr Ziel erreicht: ein gemütliches, warmes Haus, weniger CO₂, höhere Wohnqualität. Der Weg dorthin war wirtschaftlich maßgeschneidert. Genau das sollte jede Eigentümerin, jeder Eigentümer vor Unter­schrift prüfen: Wie hoch ist mein Steuersatz? Wie dick ist mein Polster? Wie schnell brauche ich das Geld zurück? Erst wenn diese drei Fragen ehrlich beantwortet sind – und der Vertrag die richtige Bedingungsklausel enthält – steht der Förderung nichts mehr im Weg.